WinterSchool: Schwarmstadt L.E. – ein erster Bericht

Zehn Master-Studierende aus Frankfurt/ Main und einige Mitglieder der GeoWerkstatt waren im Februar sechs Tage unterwegs, um der Schwarmstadt L.E. auf die Schliche zu kommen. Der kurze Bericht zeigt euch, was genau wir untersuchten. (Eine weiterführende Dokumentation Ergebnisse soll folgen…)

Rundgang durch das Bülowviertel im Leipziger Osten

Zu den Teilnehmenden der WinterSchool zählten Master-Studierende vom Institut für Geographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zusammen mit der GeoWerkstatt Leipzig e.V. organisierten sie vollkommen autonom ein vielfältiges Programm, um der Schwarmstadt L.E. auf die Schliche zu kommen. Die zugrundeliegende Frage: Warum ist Leipzig die am stärksten wachsende Stadt ein Deutschland?

Frau Komm vom Stadtplanungsamt unterstrich, dass die Entwicklung Leipzigs seit der Wende 1989 prinzipiell in drei Phasen zu teilen ist. Nach den Boomjahren der 1990er Jahre waren die 2000er von Schrumpfung geprägt, während in den 2010er Jahren zunehmend Reurbanisierungs-prozesse einsetzten und die Stadt wieder wächst, zuletzt auf 551.000 EinwohnerInnen. Die erste Erklärung für das Wachstum: „Die Experten sind ratlos. Ich denke wir profitieren aus dem Schatten von Berlin.“

Überblick über die Schwarmstadt L.E. vom Rathausturm

Anschließend sprachen wir mit Tino Supplies vom Ökolöwe und der CDU-Stadträting Frau Dr. Heymann (getrennt) über das Stadtentwicklungskonzept Verkehr und öffentlicher Raum. Eine wichtige Erkenntnis: Beide Seiten (IHK & CDU einerseits, Ökolöwe, Umweltverbände, etc.) argumentierten im Streit um das Konzept mit positiven Effekten für die lokale Wirtschaft, nur konzentrieren sie sich auf unterschiedliche Ökonomien, ohne diese konkret nennen zu können. Frau Heymanns Antwort auf das neue Wachstum der Stadt: Leipzig profitiert von der sinnvollen Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, besonders den dynamischen Entwicklungen im Nordraum. Außerdem biete Leipzig ein tolles Lebensgefühl bei durchaus preiswerten Lebensbedingungen.

Briefkästen in der „Nonkonformistenuniform“ auf dem Gelände des Westwerk

An den kommenden zwei Tagen besuchte die Gruppe den Leipziger Westen und den Leipziger Osten, informierte sich beim Verein Kreatives Leipzig e.V. zur Kreativwirtschaft, besuchte das Hausprojekt „Schöner Wohnen“ und auf der Eisenbahnstraße u.a. das Japanische Haus e.V., dessen Projekte Yu Ohtani vorstelle. Diskutiert wurde insbesondere die Belebung der Gründerzeitviertel durch alternative Lebensentwürfe sowie das Bewusstsein und die Motive der Akteure für die erhofften und nicht gewünschten Effekte ihres Handelns.

Gespräch zur Nutzung von Frei- und Zwischenräumen im Japanischen Haus e.V.

Am folgenden Tag besuchte die Gruppe zunächst das Geländer der Alten Messe in Leipzig und beobachtete die Transformation des innerstädtischen Areals zum Standort einer urbanen, innovativen Dienstleistungs- und Wissenswirtschaft.

Alte Messe Leipzig als Spiegelbild der wirtschaftlichen Transformation der Stadt

Im zweiten Teil lag der Fokus auf der Protestkultur in Leipzig. Nach einem Gespräch im Büro von Juliane Nagel (MdL) und einen Rundgang durch Connewitz traf die Gruppe Herrn Prof. Rink vom UFZ. Herr Rink wies darauf hin, dass eine Vielzahl von wohlfahrtsstaatlichen Investitionen in Großprojekte zur Attraktivität der Stadt beitragen. Die Gespräche zeigten eines: Die alternative, kritische Szene in Leipzig ist gut vernetzt und groß genug, das Leben in einzelnen Stadtteilen positiv zu prägen. Die Stadt selbst bietet vielen zuziehenden, gut ausgebildeten Menschen mit Drang nach Selbstverwirklichung u.U. sogar jenseits kapitalistischer Verwertungslogiken die Möglichkeit, eine „Bastelleben“ – prekär arbeiten, kreativ leben – zu leben.

Rundgang durch Connewitz

Die gründerzeitlichen Stadtteile, die besonders mit dem Hype um Leipzig, dem Bild der Stadt und dem in Medien transportierten Lebensgefühl in Verbindung zu bringen sind, spiegeln zweifelsohne nur einen kleinen Ausschnitt des Lebens und der Lebensvollzüge in Leipzig wider. Konsequent besuchte die Gruppe daher auch den Stadtteil Grünau, dem größten Plattenbaugebiet des sozialistischen Wohnungsbaus der Stadt. Nach einem Rundgang unter der Führung von Frau Dr. Müller vom Leibnitz Institut für Länderkunde, sprachen Frau Prof. Kabisch vom Helmholzzentrum für Umweltforschung und Herr Kowski, Chef des Quartiersmanagements Grünau, über das Leben im Stadtteil und beantworteten zahlreiche Fragen.

Gesprächsrunde mit Frau Prof. Kabisch und Herrn Kowski im Stadtteilladen Grünau

Am letzten Tag der  WinterSchool traf die Gruppe Aktivistinnen vom Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V., das u.a. die Degrowth Konferenz 2014 in Leipzig organisierte. Auch sie stehen mit ihren persönlichen Biographien und den Zielen ihrer Arbeit für die Schwarmstadt Leipzig, die noch immer Freiräume und deren preiswerte Inwertsetzung bietet, und so den Austausch von BürgerInnen ermöglicht, die an neuen Formen gesellschaftlicher Teilhabe, Lohnarbeit oder mainstreamfernen und sinnstiftenden Lebensentwürfen suchen.

Kritische Diskussion zum Gehörten im Seminarraum des Instituts für Geographie

Sozusagen als eine kleine Zugabe führten die noch nicht Abgereisten am ersten Tag nach der WinterSchool ein besonders spannendes Gespräch mit einer Mitarbeiterin vom Sächsischen Institut für Psychoanalyse, die eine eher ernüchternde Beobachtung schilderte: es gibt eine steigende Zahl von männlichen, 20-35-jährigen, überwiegend Zugezogenen, darunter ein Großteil aus den alten Bundesländern, die um psychotherapeutische Hilfe ersuchen. Die Kehrseite der Schwarmstadt also scheint nicht zuletzt die Suche nach Halt und Sinn vieler Zugezogener zu sein, deren Leben in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen in der städtischen Zuzugsstatistik nicht abgebildet ist.

Gruppenfoto auf dem Geländer der Alten Messe

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